Ein markantes Fabrikgebäude in Plattenhardt beherbergt das neue Museum, in dem faszinierende Einblicke in Geschichte und Gegenwart des künstlerischen Siebdrucks zu sehen sind. Herzstück sind wesentliche Teile aus der namhaften „Domberger-Sammlung“. Im Jahre 2009 hat das Land Baden-Württemberg den „Kulturschatz“ des in Filderstadt ansässigen Siebdruck-Unternehmens Domberger erworben und anschließend der Stadt Filderstadt als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Diese hat sich im Gegenzug verpflichtet, die Sammlung zu verwahren, zu veröffentlichen und – von museumspädagogischen Angeboten begleitet – auch auszustellen.
Ina Penßler, die Leiterin des Filderstädter Kunstbüros, zur Bedeutung der Sammlung: „Luitpold Domberger und sein Sohn Michael haben die Entwicklung des künstlerischen Siebdrucks und seine technischen Möglichkeiten maßgeblich vorangetrieben.“ Die städtische Mitarbeiterin zählt ein paar Künstler*innen mit Weltruf auf, die mit den „Machern“ und „kreativen Köpfen“ von den Fildern zusammengearbeitet haben: Willi Baumeister, Anni und Josef Albers, Chryssa, Christo und Jeanne-Claude, Richard Estes, Robert Indiana, Richard Hamilton, Victor Vasarely sowie Keith Haring.
„Das Lebenswerk der Dombergers würdigen“
Auch Oberbürgermeister Christoph Traub freut sich auf die Eröffnung dieser wohl einzigartigen Kultureinrichtung – und dies mitten in Filderstadt: „Mit dem Serigrafie-Museum können wir diese besondere Sammlung der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und gleichzeitig das Lebenswerk der Dombergers wertschätzen und würdigen.“ Er dankt allen, die dieses Projekt initiiert, durchgeführt und unterstützt haben – den Verwaltungsbeschäftigten wie den Mitgliedern des Gemeinderats. Traub schätzt das Museum als „Alleinstellungsmerkmal“ und bezeichnet es als „wesentliches Element im Stadtmarketing“, als „Tourismus-Highlight“ sowie als „Baustein der Kunst- und Kulturstadt Filderstadt“.
Zur Zielsetzung: Mit dem neuen Filderstädter Museum solle, so Ina Penßler, eine breite Öffentlichkeit angesprochen werden, die sich entweder für Kunst, Kunstgeschichte, Ortsgeschichte oder für die Siebdruckpraxis interessiere. Wechselnde Ausstellungen würden aus dem reichen Domberger-Fundus (mit rund zweitausend Einzelstücken) sowie mit Werken anderer Kulturschaffender erarbeitet, zusammengestellt und anschließend präsentiert.
Druckpioniere setzen neue Maßstäbe
Die Eröffnungsschau, die vom 22. Mai bis 14. August 2022 an der Uhlbergstraße 36 bis 40 (am Originalschauplatz des traditionsreichen Domberger-Unternehmens) zu sehen ist, führt laut Kurator Dr. Johannes Stahl zu den Anfängen des künstlerischen Siebdrucks in Deutschland. Der Hintergrund: Ältere amerikanische Siebdrucke gaben in den 1950er-Jahren den entscheidenden Impuls für eine intensive Zusammenarbeit zwischen dem Stuttgarter Akademieprofessor Willi Baumeister und Luitpold Domberger. Mit zunächst einfachsten Mitteln setzten die beiden Druckpioniere in Deutschland eine neue Technik ein – handwerkliche und künstlerische Erfindungsgabe ergänzten sich. In Filderstadt wurden schließlich neue Maßstäbe gesetzt. Dort entwickelten sich ein Siebdruckunternehmen sowie ein Treffpunkt für renommierte Künstler*innen aus aller Welt.
Das Serigrafie-Museum Filderstadt wird neben den Schätzen der Domberger-Sammlung immer auch zeitgenössische Kunst zeigen, die neu für die jeweilige Ausstellung entsteht. Johannes Stahl: „Die Eröffnungsexposition leitet einen Ausstellungsreigen ein, der im Wechsel wesentliche Aspekte der bestehenden Domberger-Sammlung mit museumspädagogischer Arbeit und zeitgenössischen Positionen verbindet.“
„Kunstkollektiv Klub7“ zu Gast in Filderstadt
Los geht’s mit einem Publikumstag am 22. Mai 2022. Zwischen 10 und 17 Uhr sind im Serigrafie-Museum auch der Kurator der Ausstellung (Dr. Johannes Stahl) sowie Mitglieder des „Kunstkollektivs Klub7“ vor Ort. Die Kulturschaffenden führen eindrucksvoll vor Augen, welche Möglichkeiten das Arbeiten in verschiedenen Schichten birgt – egal, ob das mit Mitteln des künstlerischen Siebdrucks oder mit anderen Ausdrucksformen geschieht. Stahl über den „Klub7“: „Seit 1988 arbeiten die Sechs aus Halle und Berlin collagenhaft im Mit- und Nebeneinander zusammen und haben sich nicht nur in Kreisen der Street Art einen Namen gemacht.“ Für Filderstadt entstehe „eine größere Wandgestaltung und eine gemeinsam komponierte Serigrafie“. Die Ausstellungsbesucher*innen dürfen gespannt sein… Zudem stehen am Publikumstag auch Kurzführungen und Technikpräsentationen auf dem Programm. Und noch ein Highlight: In den jeweiligen Ausstellungen können im Museumsshop (Sammel-) Postkarten erworben werden.
Nicht weniger als 212 Farben
Einen Höhepunkt der Premierenschau bildet zweifellos eine großformatige Serigrafie des amerikanischen Künstlers Richard Estes: der berühmte „D-Train“. Und der Kurator erklärt: „Nicht weniger als 212 Farben mit je eignen Druckvorgängen waren nötig, um den fotorealistischen Eindruck des Werks zur Wirkung zu bringen.“ Johannes Stahl fügt hinzu: „Die Besonderheit der Ausstellung: Auch das vorhandene Sieb ist zu sehen. Es lässt das Gespür für technische Innovation ebenso erahnen wie den Anspruch, alle Möglichkeiten des künstlerischen Siebdrucks auszuloten.“
Zur Person Richard Estes: Der 1932 in Illinois geborene Künstler studierte in Chicago an einer klassischen Akademie. Sein Werdegang führte ihn schon bald nach New York – eine Weltstadt, in der er in den 1950er-Jahren begann, Fotos zu malen. Angetan von Andy Warhols Pop Art, entwickelte Estes eine charakteristische – sprich äußerst detailreiche und naturalistische Malweise – die auch in seinem Werk „D-Train“ beeindruckt.
Darüber hinaus sei, so der Kurator, im Serigrafie-Museum Filderstadt eine Mappe der experimentellen sowjetischen Künstlergruppe „Bewegung“ zu sehen, die zwischen 1962 und 1977 bestanden habe. Der Experte erinnert: „In erstaunlichen Rauminstallationen und Performances machten sie auf sich aufmerksam. Neben Arbeiten von einzelnen Gruppenmitgliedern sind auch zwei Serigrafien in kollektiver Autorenschaft entstanden und zeigen, wie die individuellen Motive in der gleichen Komposition zusammenfinden.“
Ein kreatives Quartett hinter den Kulissen
Ina Penßler schätzt ihr vierköpfiges Team des Serigrafie-Museums sehr, das jede Menge kreative Arbeit „hinter den Kulissen“ des Kulturbetriebs leistet: unter anderem Bilder rahmt, hängt, beschildert, erfindungsreich die komplette Raumgestaltung inszeniert, selbst Vitrinen erstellt, mit Fotografen zusammenarbeitet, Postkarten für Ausstellungen drucken lässt, künftig einen Besucher*innenservice (samt praktischer Vorführungen) anbietet,… Dem rührigen Museumsquartett gehören an: Dr. Gwendolyn Rabenstein, Rebekka Finkbeiner, Birgit Hölzer sowie Wolfgang Schmidt. Sie alle sind vom vielfältigen Thema Siebdruck - seinen Farben, seinen Techniken, seinen Möglichkeiten – begeistert und wollen dieses „Suchtpotenzial“ auch gerne den künftigen „Gästen“ vermitteln.
Für den Kurator Johannes Stahl ist das Filderstädter Serigrafie-Museum eine echte Herzensangelegenheit: „Mir kommt die einzigartige Aufgabe zu, ein Museum neu denken zu dürfen. Das macht mich schon ein bisschen stolz.“ Für den „Macher“ und „Gestalter“ liegt der „Akzent der Ausstellung“ auf der Kunstvermittlung. Für Stahl geht es um „Dialoge“ zwischen den Bildern und den Betrachtenden. „Besonders faszinierend sind auch immer die Geschichten, die hinter den Werken und deren Künstler*innen stehen“, weiß der Fachmann längst. Seine Erfahrung: „Menschen lieben Geschichten.“ Und diese wolle er auch im Serigrafie-Museum Filderstadt „erzählen“. Die örtliche Sammlung bezeichnet er als „eine Art riesiges Buffet“, an dem „alles so lecker“ sei.
„Ganz große Kunstgeschichte“
Johannes Stahl ist ein Experte der „Szene“, kennt sogar viele Künstler*innen persönlich. Vor der Domberger-Sammlung habe er ein Stück weit „Ehrfurcht“. Er heftet ihr das Prädikat „toll und einzigartig“ an, verweist an das große Spektrum sehr unterschiedlicher Kulturschaffender und spricht von „ganz großer Kunstgeschichte“. Jetzt sind die Menschen aus nah und fern eingeladen, sich – im wahrsten Sinne des Wortes – selbst ein Bild vom ersten Serigrafie-Museum in Filderstadt, Baden-Württemberg, Deutschland – und vielleicht sogar weltweit – zu machen. Die Türen stehen offen… Hereinspaziert! (sk)