Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit bei den Druck-Substraten
Die Europäische Union strebt eine Kreislaufwirtschaft an, in der möglichst viele Abfälle recycelt werden. Doch bei Digitaldruck-Applikationen ist das heute oft nicht möglich. Die Hersteller von Drucksubstraten arbeiten an Lösungen. Nun liegt es an den Druckdienstleistern und ihren Kunden.
Nach jeder Messe, nach jeder POS-Aktion ist es das Gleiche: Containerweise muss Müll entsorgt werden. Zwar können einzelne Stoffe wie Papier oder Glas schon sortenrein gesammelt und so mit vertretbarem Aufwand recycelt werden. Für den Großteil der Digitaldruck-Applikationen gilt das allerdings nicht.
Bildunterschrift: Recycling ist bei vielen Digitaldruck-Produkten ein Problem. Doch es gibt erste Initiativen, dies zu ändern. Grafik: S. Angerer
Warum können viele Digitaldruck-Applikationen so schlecht recycelt werden?
Um zu verstehen, warum Digitaldruck-Anwendungen oft nicht besonders gut wiederzuverwerten sind, muss man sich klarmachen, was in der europäischen Union mit Gewerbe- und Siedlungsabfällen hauptsächlich passiert:
- Ablagerung auf einer Mülldeponie
- Energetische Verwertung in der Müllverbrennung
- Recycling zu einem neuen Rohstoff
Das Zauberwort für ein effizientes Recycling heißt „sortenrein“. Das bedeutet, dass der Müll möglichst nur aus einem Stoff besteht, etwa Papier, Karton oder PET-Flaschen. Die Wiederaufarbeitung ist mit vertretbarem Aufwand möglich.
Jeder kennt aus den Vorschriften für den Hausmüll in deutschen Kommunen die Aufforderung, etwa den Alu-Deckel getrennt von Joghurtbecher zu entsorgen. Das nämlich macht aus dem Materialverbund „Kunststoffbecher mit Aludeckel“ wieder zwei sortenreine Sekundärrohstoffe.
Leider lassen sich etwa laminierte Pop-up-Displays oder auf Aluverbundplatten kaschierte Drucke nicht so einfach trennen. Sie bleiben also ein Verbundmaterial und können entsprechend schlecht wieder dem Stoffkreislauf zugeführt werden.
Das muss übrigens nicht so sein. In der Automobilindustrie gibt es bereits seit 2015 nach der Altautoverordnung die Pflicht, eine Verwertungsquote von 95 % des Gewichts zu erreichen. Deshalb kann man aus der Autoproduktion und -verwertung heute schon eine ganze Reihe von Rohstoffen mehrfach nutzen.
Digitaldruck-Medien aus recycelten Rohstoffen
Bildunterschrift: Re-board (in Bild) und andere Wabenkartons werden aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Foto: Re-board.
Im Vergleich zu analogen Druckmethoden benötigt der Digitaldruck hochwertigere Substrate. Das hat dazu geführt, dass bislang nur ganz wenige Medien angeboten werden können, die mit oder ganz aus recyceltem Material hergestellt werden.
Eine kleine Ausnahme sind dabei Wabenkartons und andere papierbasierte Bedruckstoffe. Beim Papier lag die Recyclingquote europaweit schon 2015 bei 71,5 %. Allerdings muss auch beim wohl bekanntesten Wabenkarton für die Druckindustrie, Re-board, der bedruckbare Liner zum Teil mit einem sehr hohen Anteil an Frischfasern hergestellt werden. Denn nur so lässt eine Premium-Druckqualität sicherstellen.
Verseidag Indutex, seit August 2020 Teil der Serge Ferrari-Gruppe, hat mit Vertex nun eine Beschichtung entwickelt, die aus Post-Consumer-Müll aus der Autoindustrie hergestellt wird. Das bedeutet: Die Beschichtung ist nicht nur PVC-frei, sondern aus einem bereits recycelten Rohstoff. Für die Digitaldruck-Branche ist das ein Novum. Vertex soll Grundlage einer ganzen Produktlinie von Drucksubstraten für den Innen- und Außenraum werden. Diese wird alle gebräuchlichen Digitaldruck-Applikationen abdecken und für HP-Latex- sowie UV-härtenden Tinten optimiert sein. „Eco-Solvent und Lösemittel-Tinten empfehlen wir für Vertex-beschichtete Materialen bewusst nicht“, so Stefan Altgassen, Director Business Unit Großformatdruck bei Verseidag Indutex. „Im Rahmen eines umweltbewussten Druckkonzepts wäre das auch nicht stimmig.“.
Derzeit laufen schon umfangreiche Tests bei Beta-Anwendern. Verseidag-Indutex geht davon aus, dass die ersten Produkte der Vertex-Reihe bis Mitte 2021 auf den Markt kommen werden. „Ziel ist es, Mesh- und Bannermaterial für die gängigen Digitaldruck-Applikationen zu entwickeln“, erklärt dazu Peter Michael Siemens, Head of Development & Innovation. „Diese sollen dann auch, wo benötigt, den gängigen deutschen, französischen und europäischen Brandschutznormen entsprechen.“
Wie alle anderen Mesh- und Planen-Materialien für den Großformatdruck werden auch die Vertex-Produkte einen textilen Kern aus Polyester-Gewebe haben. Hier setzt man derzeit auf konventionelle Garne. Denn Recycling-Garne sind am Markt noch deutlich teurer. Es ist aber geplant, so Verseidag Indutex-CEO Markus Simon, „perspektivisch innerhalb der Serge-Ferrari-Gruppe hier auch eine Lösung zu finden“. Denn in der Schweiz unterhält die Firmengruppe eine eigene Garnspinnerei.
Recycling und der CO2-Fußabdruck
Auch bei den sortenreinen Wertstoffen gibt es gewaltige Unterschiede in der Recycling-Fähigkeit. Die Verwertung von PVC gilt noch immer als schwierig. In vielen Ländern der Welt wird PVC deshalb auf der Deponie entsorgt oder in Müllverbrennungsanlagen energetisch verwertet. Letzteres ist dabei gar nicht so unsinnig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Denn der Brennwert von PVC entspricht in etwa dem von Braunkohle. Verseidag-Indutex ist als Unternehmen mit mehreren Produktsparten, u. a. auch für textile Architektur und temporäre Bauten, Mitglied in der Brancheninitiative VinylPlus, die sich für die stärkere Wiederverwertung von PVC als Rohstoff für neue Produkte einsetzt.
Andere Hersteller von Druck-Substraten konzentrieren sich rein auf PVC-freie Alternativen ohne den Einsatz von Recyclaten oder nachgeschaltete Recyclingansätze. Im September 2020 stellte etwa Heytex seine Ecotex-Produkte vor. Sie sollen in Nordeuropa im Außenraum rund ein Jahr lang haltbar sein. Da sie bei ähnlichen Leistungsdaten leichter sind als PVC-Produkte, lassen sie sich besser transportieren und sollen so eine geringeren CO2-Fußabdruck erreichen.
Bildunterschrift: Neschen hat kürzlich sein Portfolio an PVC-freien Folien erweitert. Im Bild: Die Neschen-Hauptniederlassung in Bückeburg. Foto: Neschen
Auch Neschen hat im November seine Easy-Dot-Portfolio mit einer neuen, matten Selbstklebefolie erweitert. Sie wird nicht nur PVC- sondern auch lösemittelfrei hergestellt, denn der Tüpfelkleber ist wasserbasiert. Die Folie selbst ist aus PP. Die Herstellung von hochwertigem Polypropylen, einer in der Druckbranche sehr weit verbreiteten Alternative zu PVC, ist allerdings ausgesprochen energieintensiv. Zudem sind die Leistungsdaten von PP-Medien im Außenraum deutlich schwächer als bei PVC. Das bedeutet, dass ein Druck gegebenenfalls mehrfach ersetzt werden muss, sodass größere Materialmengen anfallen. Zwar gilt speziell PP als gut recycelbar, allerdings lag die Recycling-Quote im Jahr 2017 bei unter einem Prozent. Das ist die niedrigste Rate von allen gängigen Kunststoffen.
Es ist daher sehr schwer, den ökologischen Fußabdruck verschiedener Drucksubstrate zu bestimmen. Re-board weist ihn für seine Produkte aus, die Berechnungen erfolgen anhand der CEPI- und ISO 14040-Vorgaben. Die Energiequelle für die Herstellung des Drucksubstrates ist für die Bestimmung des ökologischen Fußabdrucks sehr wichtig. Bei Verseidag-Indutex hat man Produktion und Verwaltung dank einer neuen, hochleistungsfähigen Fotovoltaik-Anlage und des Bezugs von zertifiziertem Öko-Strom seit Mitte 2020 weitgehend CO2-neutral gestellt, der verbleibende Rest wird durch Zertifikate ausgeglichen.
Die meisten Hersteller von Folien und Substraten für die Druckindustrie haben in den letzten Jahren Initiativen ergriffen, um den Einfluss ihrer Produkte auf die Umwelt zu minimieren. Bei Avery Dennison beispielsweise, konnten durch verschiedene Maßnahmen die Treibhausgas-Emissionen um 8.000 Tonnen gesenkt werden.
Man sollte sich allerdings klarmachen, dass alle Verbesserungen beim Hersteller nur die Produktion des Drucksubstrates betreffen können. Emissionen, die im Lebenszyklus des Bedruckstoffes etwa durch Vertrieb, Logistik, Verarbeitung, Montage und auch im Recycling-Prozess entstehen, kommen also noch mal „obendrauf“.
Wie können Digitaldruck-Produkte umweltfreundlicher werden?
Digitaldrucker können aber dazu beitragen, dass ihre Produkte wie Umwelt weniger stark belasten. Das beginnt schon beim Design:
- Geeignetes Material auswählen
- Vermeidung der Produktion von Verbundstoffen, etwa durch Laminierung
- Materialsparsam entwickeln
- Sparsamer Maschinenpark
- Effizienter Workflow mit wenig Ausschuss und Abfall
- Nutzung umweltbewusster Energiequellen (Wärmepumpe, Solaranlage, Ökostrom…)
Allerdings können alle Maßnahmen nur dann zum Erfolg führen, wenn die Einkäufer von Druckprodukten mitziehen. Dazu reichen Lippenbekenntnisse nicht aus, sie müssen auch bereit sein, Aufschläge für umweltschonendere Substrate und mehr Recycling mit zu schultern. Es wird die große und wichtige Aufgabe der Digitaldruck-Dienstleister sein, ihre Kunden davon zu überzeugen. Denn wenn wir in den letzten Monaten eines gelernt haben, dann doch wohl dieses: Es geht nur gemeinsam.
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